Psychopharm

= Medikamente, die eine seelische Wirkung haben (sollten)
Grundsätzliches

Psychopharmaka sind stark wirksame Medikamente. Die Kenntnisse über Zusammenset-
zung und die richtige Anwendung ist in erster Linie Ärzten vorbehalten, deshalb sind fast
alle rezeptpflichtig, teils unterstehen sie sogar dem Betäubungsmittelgesetz.
Psychopharmaka sind Hilfsmittel (Krücken), keine Heilmittel. Auf Anfrage muss ein Arzt
die beabsichtigte Wirkung von Psychopharmaka jederzeit in verständlichen Worten erklä-
ren können. Wenn er dies nicht will oder nicht kann, ist die Anwendung von Psychophar-
maka sinnlos oder sogar gefährlich.
Vor der Abgabe von Psychopharmaka muss ein Arzt den Patienten, ev. auch die Angehö-
rigen, über ihren Kenntnisstand betreffend diese Medikamente befragen. Die häufigsten
Vorurteile über Psychopharmaka lauten nach wie vor:
• alle Psychopharmaka machen abhängig, führen in die Sucht
• alle Psychopharmaka verändern die Persönlichkeit • alle Psychopharmaka führen bei längerem Gebrauch zu körperlichen Schäden
Danach muss der Arzt den Patienten über die allgemeine Wirkungsweise von Psycho-
pharmaka (siehe separates Skript) sowie über die zu erwartenden erwünschten und die
zu erwartenden unerwünschten Wirkungen aufklären, und zwar aufrichtig.
Erst wenn der Patient die Anwendung richtig verstanden hat und bereit ist, es mit Psycho-
pharmaka zu versuchen, soll der Arzt das Medikament abgeben. Beide, Arzt und Patient,
sind vertraglich (KVG) verpflichtet, die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und die Wirtschaft-
lichkeit der Psychopharmaka von Zeit zu Zeit zu überprüfen.
Eine Besonderheit ist die in der Psychiatrie und in Psychiatrienahen Institutionen manch-
mal angewendete Zwangsmedikation. Sie bedeutet einen schweren Eingriff in die körperli-
che Integrität und entspricht juristisch gesehen einer schweren Körperverletzung.
Die am häufigsten benützten von Psychopharmaka sind:
• Antidepressiva
Nur in besonderen Fällen benützte, hier nicht beschriebene Psychopharmaka sind: • Lithium-Salze (z.B. Quilonorm, Lithiofor bei manisch-depressivem Kranksein) • Antiepileptika (z. B. Tegretol, bei manisch-depressivem Kranksein) • Methadon oder Heroin (Opioidsubstitution)
Allgemeine unerwünschte Wirkungen = Nebenwirkungen
Viele Psychopharmaka (Ausnahme: Tranquilizer) haben mehr oder weniger ausgeprägte
anticholinerge Nebenwirkungen, d.h. sie wirken auf sämtliche Rezeptoren gegen Acetyl-
cholin im ganzen Körper. Die folgenden Nebenwirkungen kommen in abnehmender Häu-
figkeit vor:
• im Magendarmtrakt: Mundtrockenheit, Verstopfung, verlangsamte Magendarmpassa- • sexuelle Funktionsstörungen, beim Mann: Potenzstörungen / bei der Frau: trockene • an den arteriellen Gefässen: Blutdrucksenkung, ev. bis hin zu Schwindel • im Hirn, und nur bei vorbestehender Demenz: Verstärkung von ev. vorbestehenden • in den Augen: Verstärkung von ev. vorbestehenden Sehstörungen • am Herz: ev. Rhythmusstörungen Die Pharmaindustrie sucht immer wieder nach verbesserten Medikamenten, d. h. solchen mit gleicher Wirksamkeit wie bisherigen Psychopharmaka aber weniger unerwünschten Nebenwirkungen. Bei den Antidepressiva der neueren Generation, den sog. SSRI, sind seit einigen Jahren sogenannte Absetzerscheinungen bekannt: wenn der (schlecht informierte) Patient seine Normale Tagesdosis plötzlich, d. h. ohne langsam und in kleinen Schritten herabzusetzen, weglässt, treten nach 24 Stunden unangenehme vegetative Symptome auf wie Zittern Schwitzen und ev. Panik. Die Symptome verschwinden nach 2-3 Tagen von selbst.
Einzahl: Antidepressivum
heissen auch: Thymodysleptica, Thymeretica
Einteilung nach biochemischer Struktur:
• trizyklische = Antidepressiva der 1. = ältesten Generation, Beispiele: Anafranil, Ludio- mil Tofranil, Saroten, Gamonil, Surmontil • nicht-trizyklische = Antidepressiva der 2. Generation, Beispiele: Tolvon, Trittico • SSRI (Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren) = Serotoninwiederaufnahmehemmer = Antidepressiva der 3. Generation, Beispiele: Seropram, Fluctine, Floxyfral • SNRI (Selektive Noradrenalin Reuptake Inhibitoren) = Noradrenalinwiederaufnahme- hemmer = Antidepressiva der 4. = neuesten Generation,
Einteilung nach Wirkung auf die Psyche, speziell auf den Antrieb:
• psychomotorisch antriebssteigernde Antidepressiva, Beispiele: Anafranil, Aurorix
• psychomotorisch dämpfende Antidepressiva, Beispiele Saroten, Tolvon, Surmontil,
Biochemisches Wirkprinzip
Antidepressiva verstärken die Wirkung von Serotonin, Adrenalin und Noradrenalin, indem
sie entweder die Wirkung dieser Transmittoren nachahmen oder dessen Inaktivierung
(Wiederaufnahme in die Nervenzelle oder Abbau) verhindern. Sie reduzieren gleichzeitig
die Wirkung von Acetylcholin, indem sie die betreffenden Rezeptoren blockieren.
Erwünschte Wirkungen
Stimmungsaufhellung (kommt erst nach 3-4 Wochen!), dazu je nach Problem:
• bei gehemmten Depressionen: Antriebssteigerung
• bei agitierten Depressionen: Beruhigung, Schlafförderung E:\daten\WORD_DAT\vorträge\psychopharm.doc
= starke Beruhigungsmittel (engl. „Major Tranquilizers“)
= Antipsychotika („gegen Psychosen“)
=„Chemische Keule" (Begriff aus der Antipsychiatrie-Bewegung)
Einteilung
Neuroleptika der 1. Generation:
unspezifisch-dämpfend, ausgeprägt unerwünschte Wirkungen v. a. bei älteren Menschen
(siehe unten). Beispiele: Largactil, Prazine, Nozinan, Melleril, Truxal.
Neuroleptika der 2. Generation:
spezifisch antipsychotisch (gegen Wahnideen und Halluzinationen), bei älteren Menschen
besser verträglich;
zusätzliche Unterteilung nach unterschiedlich starker psychomotorischer Dämpfung, Bsp.
für
• stark dämpfende Neuroleptika: Clopixol, Leponex, Dapotum.
• mittelstark dämpfende Neuroleptika: Haldol, Dipiperon, Sedalande. • schwach dämpfende Neuroleptika: Fluanxol, Semap. Neuroleptika der 3. = neuesten Generation: noch spezifischer antipsychotisch, praktisch ohne jede psychomotorische Dämpfung nahme, Beispiele: Risperdal, Zyprexa, Ebixa
Biochemisches Wirkprinzip
Neuroleptika reduzieren die Wirkung von Dopamin, indem sie die betreffenden Rezeptoren
blockieren.
Erwünschte Wirkungen
Neuroleptika schützen künstlich vor zwischenmenschlichem Stress, erleichtern das „Ab-
schalten“ und Einschlafen, reduzieren Ängste und wirken gegen Wahnideen und Halluzi-
nationen verschiedenster Herkunft.
Unerwünschte Wirkungen
anticholinerge Nebenwirkungen vgl. dort
extrapyramidales Syndrom (EPS) = medikamentös verursachtes Parkinsonsyndrom =
Krämpfe der Bewegungs-, Zungen, Schlund-, Arm-, Bein-, und Rückenmuskulatur, Seh-
und Schluckstörungen, ev. steife Gestik, verlangsamter und kleinschrittiger oder schlur-
fender Gang, Rücken- und Spannungskopfschmerzen.
Der Arzt sollte in dieser Reihenfolge Gegenmassnahmen ergreifen:
1. Patient darauf ansprechen
2. einmalig (!) Akineton aus der Reserve abgeben, wenn kein Erfolg:
3. Dosisreduktion, wenn kein Erfolg:
4. ev. Wechsel auf nebenwirkungsarmes Neuroleptikum der nächst neueren Generation.
andere unerwünschte Wirkungen: Schläfrigkeit, „Verladensein“ auch tagsüber; bei Neuro-
leptika der 1. Generation bzw. älteren Menschen besonders ausgeprägt: Herzrhythmus-
und Blutdruckprobleme sowie allgemeine Schwäche in der Muskulatur, die zu vermehrten
Stürzen führen kann.
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= Beruhigungsmittel
engl. „Minor Tranquilizer“
Einteilung nach Chemischer Struktur:
• Alkoholabkömmlinge, Beispiel: Chloraldurat
• Vitaminabkömmlinge, Beispiel: Distraneurin • Benzodiazepine = grösste Gruppe.
Benzodiazepine werden nach der Dauer der Wirksamkeit nach Einnahme eingeteilt:
• lang wirksame Benzodiazepine (24 - 48 Std.), werden heute noch z. B als Muskelent-
spannungsmittel (Relaxantien) bei Diskushernie etc. eingesetzt, Beispiele: Valium, Li-brium; als Anxiolytikum (Angstlöser): Lexotanil • mittellang wirksame Benzodiazepine (8-16 Std.), werden häufig als Durchschlafmittel (nachts) oder Anxiolytikum (tagsüber) angeboten, einige davon sind extrem suchter-zeugend, Beispiele: Rohypnol, Temesta, Seresta, Xanax • kurz bis sehr kurz wirksame Benzodiazepine (2-6 Std.), werden in der Narkoseeinlei- tung (also vor Vollnarkosen) und für Kurznarkosen (z. B. vor Magenspiegelung) sowie als Einschlafmittel verwendet, Beispiele: Halcion, Dormicum, Stilnox (Zoldorm, Zolpi-dem), Sonata
Biochemischer Effekt
Benzodiazepine blockieren in Hirn und Rückenmark GABA-Rezeptoren (GABA = Gamma
Amino Butyr Acid = Gamma-Amino-Buttersäure. GABA ist ein weiterer Neurotransmittor,
der für die Steuerung der Anspannung in der Rücken-, Arm- und Beinmuskulatur zustän-
dig ist. Gleichzeitig mit der Entspannung dieser Muskeln tritt auch eine psychische Ent-
spannung ein, Panikattacken hören rascher auf.
Erwünschte Wirkungen
rasches Lösen von inneren Spannungen und Ängsten, Schlafanstoss.
Unerwünschte Wirkungen
• bei allen Benzodiazepinen droht GEWÖHNUNG UND DOSISSTEIGERUNG
• Schläfrigkeit, „Verladensein“ auch tagsüber. Müdigkeit am Morgen nach der Medika- • Bei älteren Menschen: erhöhte Sturzgefahr, besonders zusammen mit blutdrucksen- kenden Medikamenten wie Lasix, Lopirin, Moduretic, Tenormin, Inderal etc. Ältere Menschen reagieren zudem manchmal auch mit Antriebssteigerung statt Dämpfung = sog. paradoxe Benzodiazepinwirkung. E:\daten\WORD_DAT\vorträge\psychopharm.doc

Source: http://www.drpbruetsch.ch/download/Psychopharmaka.pdf

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