News, Fakten, Entwicklungen, Analysen, Kommentare zur Pharmapolitik
Dr. Erich Schröder Arzt, Journalist 01/2012
Ärzte verschrieben Arzneimittel für 362 Euro pro Patient und Jahr
(dpa) Die Kosten für ärztlich verschriebene Medikamente sind 2011 aller Voraussicht nach stabil geblieben. Die niedergelassenen Ärzte hätten ihren gesetzlich versicherten Patienten in den ersten drei Quartalen Arzneimittel im Wert von mehr als 25 Milliarden Euro verordnet, teilte die Techniker Krankenkasse (TK) mit. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeute das praktisch keine Veränderung. Zugleich seien jedoch die Rabatte für die Krankenkassen spürbar angestiegen. „Die Zahlen zeigen, dass die Maßnahmen wirken, die der Gesetzgeber ergriffen hat, um die Ausgaben für Medikamente im Griff zu behalten", sagte Thomas Widmann von der TK. Im Bundesdurchschnitt entfielen den Angaben zufolge auf jeden Versicherten mehr als sieben Arzneimittelpackungen im Wert von fast 362 Euro. Die regionalen Unterschiede in der Verordnungspraxis sind erheblich: Am teuersten verschrieben die Ärzte in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Wert von rund 457 Euro je Versicherten (26 Prozent mehr als im bundesweiten Mittel), während Westfalen- Lippe mit knapp 327 Euro den niedrigsten Pro-Kopf-Wert aufweist und den Bundesdurchschnitt damit um fast zehn Prozentunterschreitet. Krankenkassen sehen Wende bei Pharmapreisen (dpa, ES) Die Krankenkassen erhoffen sich sinkende Ausgaben angesichts neuer Preisfindungs-Regeln bei Arzneimitteln, die ab Januar umfassend greifen. Dann starten die ersten Preisverhandlungen zu einem neuen Medikament zwischen Kassenverband und dem Hersteller AstraZeneca. „Faire Preise heißt für uns, dass sich die Gewinne der Pharmaindustrie am Zusatznutzen für die Patienten orientieren und nicht an den Wunschvorstellungen der Aktionäre“, triumphiert der stellvertretende Vorsitzende des Kassen-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg mit Bezug auf die beginnende Umsetzung des AMNOG. „Einen großen Effekt erwarte ich dadurch, dass Medikamente erkannt werden, die keinen Zusatznutzen haben“, so von Stackelberg weiter. Der Preis eines Mittels ohne Mehrwert dürfe nicht höher sein als der für jenes bestehende Medikament, das nach wissenschaftlichen Kriterien als offizielles Vergleichsmittel festgelegt wurde. Der Kassenmanager kündigte an, auch schon auf dem Markt befindliche Medikamente mit Nachdruck dem neuen Verfahren unterwerfen zu wollen: „Wir werden in diesem Jahr die ersten Anträge für den Bestandsmarkt stellen.“ Auch dort
würden viele Produkte keinen zusätzlichen Nutzen erbringen. „Nur wenn diese Arzneimittel verstärkt der neuen Nutzenbewertung unterzogen werden, kann es die mit dem Gesetz vorgesehenen Einsparungen geben.“ Das Bundesgesundheitsministerium erwartet laut eigenen Angaben Einsparungen von rund zwei Milliarden Euro pro Jahr. Stackelberg wies Kritik der Pharmabranche zurück, Patienten würden nun Innovationen vorenthalten. „In drei, vier Jahren werden wir sehen, ob wir hier gesetzliche Nachbesserungen brauchen.“ Studie: 13 Milliarden Euro Sparpotential in der Krankenkassen-Bürokratie?
(VN) Im deutschen Gesundheitssystem fallen nach einem Spiegel-Bericht deutlich mehr Verwaltungskosten an als bisher vermutet. Einer Studie der Unternehmensberatung A. T. Kearney zufolge sind 23 Prozent der 176 Milliarden Euro Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung 2010 bürokratischen Abläufen geschuldet, schreibt das Magazin. In der Industrie liege dieser Anteil bei nur 6,1 Prozent. Durch schlankere Strukturen ließe sich der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von derzeit 15,5 auf 14,2 Prozent senken, schlussfolgert die Studie. Die Krankenkassen verursachten nicht nur in ihren eigenen Unternehmen Bürokratie, sondern in der gesamten Branche, etwa bei Apotheken, Arztpraxen oder Krankenhäusern, heißt es in der Studie. Neben den offiziellen angegebenen Verwaltungskosten in Höhe von 9,5 Milliarden Euro kämen deshalb noch weitere 18 Milliarden Euro hinzu, die bisher nirgendwo veranschlagt seien. So müssten etwa Krankenhausärzte 37 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungsaufgaben zubringen. Auch die komplizierten Abrechnungsverfahren bei niedergelassenen Ärzten oder die Praxisgebühr seien Kostentreiber. Das Gesundheitswesen habe durch die Vielzahl der Reformen „einen Grad der Komplexität erreicht, der nicht mehr angemessen beherrschbar ist", schreiben die Berater. Nach ihrer Berechnung könnten rund 13 Milliarden Euro eingespart werden. Als Gegenmittel für die ausufernde Bürokratie im deutschen Gesundheitssystem empfiehlt der Bayerische Facharztverband (BFAV) mit Bezug auf die Kearney-Studie das "Gesundheitskonto Bayern". Dabei handelt es sich um ein Modellprojekt, das die KV Bayerns auf Initiative des BFAV zusammen mit der Audi BKK im Gesundheitsnetz Ingolstadt aufgelegt hat und das mehr Transparenz für Patient, Arzt und Krankenkasse schaffen soll. Der Schlüssel zum Erfolg liege dabei in der Kostenerstattung. Versorgungsstrukturgesetz: Ärzte werden neu verteilt
(dpa, ES) Pünktlich zum Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes (GKV- VStG) zu Neujahr tun sich deutliche Meinungsunterschiede über die Umsetzung der Pläne gegen den Medizinermangel auf. Ab jetzt ringen Ärzte, Krankenkassen und Länder darum, wie die Mediziner in Deutschland künftig verteilt werden sollen. Der Kassen-Branchenführer Barmer GEK warnt bereits vor einem neuen Wasserkopf an Bürokratie. Immer klarer wird: Viele Patienten müssen sich deutlich umgewöhnen. In den nächsten fünf Jahren geht laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) jeder dritte Haus- und Facharzt in den Ruhestand. „In dünn besiedelten Regionen werden wir ganz neue Wege gehen müssen“, sagt der zuständige Vizechef des Verbands der gesetzlichen Kassen, Johann-Magnus von Stackelberg, und entwickelt gleich eigene Ideen: „Da wird es mehr ärztliche Gemeinschaftspraxen oder auch medizinische Versorgungszentren geben, in denen zum Beispiel an einem Tag der Woche der Internist, am nächsten der Orthopäde und an den anderen weitere Fachärzte tätig sind.“ Patienten müssten aber weiter Hausärzte schnell erreichen können. Die KBV will sogar, dass eine grundlegend neue Ärzteplanung mehr Allgemeinmediziner festschreibt: Ein Arzt soll nicht mehr wie heute im Schnitt auf 1700, sondern auf nur noch 1500 Einwohner kommen. Die Anfahrt zu spezialisierten Ärzten dürfte laut Kassenverband und KBV dagegen teils deutlich weiter sein. Doch bis zu einem echten Konzept ist es noch ein langer Weg - mit hohem Risiko von Komplikationen. KBV-Chef Andreas Köhler erwartet nicht vor Ende 2012 eine entsprechende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. „Erst dann können die maßgeblichen Zulassungsausschüsse handeln.“ Hier entscheiden regionale Funktionäre, wo welche Ärzte sitzen sollen. Die Länder haben sich mit dem Gesetz ein Mitspracherecht erkämpft - die Kassen warnen schon vor Zuständen wie bei den Lehrern, die sich die Länder gegenseitig abspenstig machen. Der Chef der größten deutschen Krankenkasse Barmer GEK, Christoph Straub, mahnt: „Den angenommenen Ärztemangel durch eine immer verfeinerte Planung zu beseitigen, funktioniert nicht. Das bringt nicht mehr Ärzte aufs Land, sondern nur mehr Ausschüsse und Planer.“ Für Straub stehen andere Umbrüche im Fokus. Bei schwierigen Behandlungen müssen Spezialisten aus Klinik und Arztpraxis im konkreten Fall nach verbreiteter Expertenansicht enger zusammenarbeiten. Mit der neuen spezialfachärztlichen Versorgung soll das neue Gesetz den Weg dazu öffnen. Allerdings steht einer engeren Zusammenarbeit von Kliniken und Ärzten zumindest bisher der Wettbewerb um Behandlungsfälle im Weg. Bundeskartellamt: Rabattverträge bleiben geheim
(DAZ). Das Bundeskartellamt hat die Geheimhaltung der Arzneimittel-Rabattverträge zwischen Herstellern und Krankenkassen gerechtfertigt und lehnt eine Offenlegung ab: „Es geht um die Kalkulation der einzelnen Unternehmen und somit letztlich um Geschäftsgeheimnisse“, sagte Andreas Mundt, der Präsident der Behörde, zur Begründung in einem Interview mit dem „Deutschen Ärzteblatt". Im Vergaberecht sei es nun einmal sehr schwierig, den Zugang zu den Akten zu eröffnen, so Mundt weiter. Die Behörde sei „sehr zufrieden damit", dass auf die Rabattverträge das Vergaberecht Anwendung finde und die Verträge öffentlich ausgeschrieben werden müssten. Ohne Ausschreibung führe der Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt sonst langfristig zu einer Konzentration auch auf der Herstellerseite mit der Folge steigender Arzneimittelpreise. Eine gesetzliche Korrektur forderte der Kartellamtschef Mundt hingegen bei der Kontrolle der Krankenkassen: „Hier ist der Gesetzgeber aufgerufen, eine Lücke zu schließen, die durch die Rechtsprechung der Sozialgerichte entstanden ist.“ VFA: Mindestens 20 neue Arzneimittel in 2012
(vfa) Auch im angelaufenen Jahr 2012 rechnet der Verband forschender Pharma- Unternehmen (vfa) wieder mit wichtigen Innovationen auf dem Arzneimittelmarkt: 2012 bestehe die Aussicht auf mehr als 20 neue Medikamente, insbesondere gegen Krebs und Infektionskrankheiten. Das prognostizierte die Hauptgeschäftsführerin des vfa, Birgit Fischer, mit Blick auf laufende und kürzlich abgeschlossene Zulassungsverfahren für neue Medikamente. Rund ein Viertel der Präparate sollen die Behandlung von Patienten verbessern, die an Krebs leiden - konkret an Lungen-,
Schilddrüsen-, Knochen-, Haut- oder Nierenkrebs, an verschiedenen Leukämien und Lymphomen. Drei neue Antibiotika sollen Bakterien bekämpfen, die gegen ältere Mittel resistent oder von jeher schwer zu therapieren sind. Gegen HIV dürfte unter anderem ein weiteres Medikament herauskommen, das alle für eine wirksame Therapie nötigen Wirkstoffe in sich vereinigt. Neue Impfstoffe könnten die Möglichkeiten erweitern, sich vor Hirnhautentzündung durch Meningokokken zu schützen. Zur Behandlung des weit verbreiteten Diabetes Typ 2 steht ab 2012 möglicherweise eine neue Klasse von Medikamenten zur Verfügung, die den Blutzuckerspiegel senken, indem sie überschüssigen Zucker über den Harn ausleiten. Etwa ein Drittel der kommenden Medikamente richtet sich gegen seltene Erkrankungen wie Mukoviszidose oder Sehnerv-Neuropathie und Infektionen bei Frühchen. „Hier zeigt sich die Entschlossenheit der Pharma-Unternehmen, auch für solche Krankheiten therapeutische Lösungen zu entwickeln, die nicht mit einem großen Absatzmarkt verbunden sind", so Fischer. Die Erstattungsbeträge für diese Präparate müssen laut Gesetz vom Hersteller mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ausgehandelt werden. Bei Impfstoffen werden diese aus europäischen Vergleichspreisen errechnet. „An den letztlich erzielbaren Preisen werden die forschenden Pharma-Unternehmen erkennen können, ob auch zukünftig Innovationen in Deutschland schnellstmöglich für die Behandlung der Patienten eingesetzt werden können", so Fischer. „Dies wird mit darüber entscheiden, welche Präparate die Hersteller künftig auch hierzulande auf den Markt bringen können. Denn Pharmaforschung ist langwierig und teuer und folglich auf eine angemessene Erstattung ihrer Ergebnisse angewiesen." Schein und Sein in der Pharmabranche
(FAZ) Fast 30 neue Wirkstoffe haben die Hersteller 2011 eingeführt, für 2012 rechnet der vfa mit mehr als zwanzig neuen Medikamenten. Tatsächlich haben Neuentwicklungen dafür gesorgt, dass die Aussichten für die Branche besser sind als vor Jahresfrist. Damals galt die „Patentklippe" noch als kaum zu überwinden - das Zusammentreffen einer langfristigen Flaute in den Forschungslaboren und Entwicklungsabteilungen einerseits und das Auslaufen des Patentschutzes für viele lukrative Produkte andererseits. „Wir glauben, dass die Unternehmen diese Risiken ausgleichen können, indem sie neue Produkte einführen, in den Schwellenländern kräftig wachsen und ihre Geschäftsmodelle diversifizieren, etwa durch den Einstieg in die Tiermedizin", sagt der Branchenfachmann Olaf Tölke von der Ratingagentur Standard & Poor's heute. So hat der größte Pharmakonzern der Welt, Pfizer, zwar schon im November die Exklusivität für den Blutdrucksenker Lipitor verloren, der in der Vergangenheit mit einem Umsatz von gut 10 Milliarden Dollar im Jahr etwa ein Fünftel der Gesamterlöse einspielte. In diesem März endet außerdem der Patentschutz für zwei weitere Mittel mit einem Umsatz von jeweils mehr als einer Milliarde Dollar. Dann dürfen Wettbewerber das Antipsychotikum Geodon und Viagra nachbauen und günstiger anbieten. Doch für Lipitor hat Pfizer eine Reihe von Rabattverträgen und Vertriebsvereinbarungen mit Apotheken abgeschlossen, um seinen Marktanteil gegen die Nachahmerpräparate zu verteidigen. Für ein halbes Jahr ist die Konkurrenz nach amerikanischem Recht außerdem noch auf zwei Hersteller begrenzt. Und es sind, wie die Ratingagentur Fitch kommentiert, sogar von dem oft als besonders schwerfällig und unkreativ kritisierten Branchenprimus inzwischen wieder vielversprechende Neuentwicklungen zu erwarten.
Pfizer liegt damit im Trend: Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat im vergangenen Jahr 30 neue Wirkstoffe zugelassen, zehn mehr als 2010. Ähnlich war die Entwicklung beim europäischen Pendant EMA in London. Aus Deutschland kam davon allerdings nur eine einzige Substanz, eine von dem Iserlohner Mittelständler Medice entwickelte Tablette zur Therapie des Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) . Die beiden einheimischen Konzerne Bayer und Boehringer Ingelheim versprechen sich von neuen Mitteln zur Schlaganfallprohylaxe Einnahmen in Milliardenhöhe, greifen dafür aber auf schon zuvor für andere Anwendungsgebiete zugelassene Substanzen zurück. Die Unternehmensspitze von Boehringer hat sich außerdem dagegen entschieden, ein neues Diabetesmittel in Deutschland auf den Markt zu bringen, weil sie einen ungünstigen Ausgang der Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband der Krankenkassen vor aussah, die sonst in diesem Jahr anstehen würden. Nicht einmal jedes dritte neu zugelassene Mittel bringe zumindest eine kleine Verbesserung für die Patienten, schätzt der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, der Berliner Krebsspezialist Wolf-Dieter Ludwig. „Wir sehen Innovationen sehr viel seltener als die Pharmakonzerne." Die Produktivität der Hersteller bezeichnet er deshalb trotz der zuletzt gestiegenen Zulassungszahlen als rückläufig - denn für die Zulassung sei nicht der Nachweis der Überlegenheit gegenüber bestehenden Präparaten nötig, Gleichwertigkeit genüge. Besonders enttäuscht zeigt sich der Onkologe von der Entwicklung in seinem eigenen Fachgebiet, das wegen der vielen Patienten und unterschiedlichen Krebsarten besonders lukrativ ist. „Was in den vergangenen Jahren erreicht worden ist", sagt Ludwig, „steht in keinem Verhältnis zu Jahrestherapiekosten von bis zu 70 000 Euro." Nur einem einzigen der vier Krebsmittel, die 2011 neu zugelassen wurden, einem von Bristol Myers-Squibb entwickelten Antikörper gegen Hautkrebs, billigt er das Potential zu, sich als eine echte Innovation zu erweisen.
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