Eiskalter blick zum urknall

Eiskalter Blick zum Urknall
Quantenphysiker ebnen Weg zu neuen Materiezuständen in ultrakalten
Atomgemischen

Einen Meilenstein in der Erforschung von Quantengasmi-
schungen haben Forscher des Instituts für Quantenoptik
und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck erreicht.
Der Gruppe um Rudolf Grimm und Florian Schreck gelang
es erstmals, in einem Quantengas zwischen zwei fermio-
nischen Elementen, Lithium-6 und Kalium-40, eine starke
Wechselwirkung kontrolliert herzustellen. Ein solches
Modellsystem verspricht nicht nur neue Einsichten in die
Festkörperphysik, sondern zeigt auch verblüffende Ana-
logien zur Urmaterie kurz nach dem Big Bang.

In den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall bestand das gesamte Universum Theorien nach aus einem Quark-Gluon-Plasma. Auf der Erde lässt sich diese „Ursuppe“ in gro-ßen Teilchenbeschleunigern beobachten, wenn zum Beispiel Kerne von Bleiatomen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit Rudolf Grimm, IQOQI
aufeinander geschossen und mit Detektoren die dabei entste- henden Produkte untersucht werden. Nun gelang es Quantenphysikern um Prof. Rudolf Grimm und Dr. Florian Schreck vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQO-QI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemeinsam mit italienischen und australischen Forschern erstmals, Teilchenwolken aus Lithium-6 und Kalium-40-Atomen kontrolliert wechselwirken zu lassen. Sie konnten damit ein Modellsystem etablieren, das sich ähnlich verhält wie das um mehr als 20 Größenordnungen energetisch stärkere Quark-Gluon-Plasma. Quantengas zerfließt gemeinsam
Bereits 2008 bestimmten die Innsbrucker Physiker in einer
Quantengasmischung aus Lithium- und Kaliumatomen soge-
nannte Feshbach-Resonanzen, mit denen sie die quanten-
mechanische Wechselwirkung zwischen den Teilchen über
ein Magnetfeld beliebig verändern können. Inzwischen haben
sie alle technischen Herausforderungen gemeistert und kön-
nen als weltweit erste auch sehr hohe Wechselwirkungen
zwischen den Teilchen herstellen. „Die Magnetfelder müssen
dazu auf ein Hunderttausendstel genau justiert und sehr prä-
zise kontrolliert werden“, erklärt Florian Schreck, der im Vor-
jahr mit dem START-Preis ausgezeichnet wurde.
In dem Experiment präparieren die Physiker in einer opti-schen Falle die ultrakalten Gase aus Lithium-6 und Kalium-40-Atomen und legen sie übereinander, wobei die kleinere Wolke der schwereren Kaliumatome sich im Zentrum der Li-thiumwolke befindet. Nach dem Abschalten der Falle beo- Florian Schreck, IQOQI
bachten sie bei unterschiedlich starken Magnetfeldern die Expansion des Quantengases. „Bei starker Wechselwirkung der Teilchen verhalten sich die Gaswolken plötzlich hydrodynamisch“, erzählt Schreck. „Im Zentrum der Teilchenwolke - dort wo die Kaliumatome mit den Lithiumatomen wechselwirken - bildet sich ein elliptischer Kern. Außerdem passen die unterschiedlich schweren Teilchen ihre Expansionsgeschwindigkeiten aneinander an.“ Aus der Theorie weiß man, dass beide Phänomene auf hydrodynamisches Verhalten des Quantengases schließen lassen. „Dieses Verhalten ist das auffälligste Phäno-men, das in Quantengasen beobachtet werden kann, wenn Teilchen stark miteinander wech-selwirken“, sagt Rudolf Grimm. „Dieses Experi-ment eröffnet damit ein neues Gebiet der Viel-teilchenphysik.“ Tür zu spannenden Experimenten
Auch Hochenergiephysiker machen diese zwei
Beobachtungen, wenn sie in Teilchen-
beschleunigern Quark-Gluon-Plasmen herstel-
len. Unter sehr gut kontrollierten Laborbedin-
gungen kann das Innsbrucker Quantengasex-periment damit als Modellsystem für Phänome- Der Forschungsgruppe um Rudolf
ne im Universum kurz nach dem Urknall gese- Grimm und Florian Schreck gelang es
hen werden. „Wir können daran aber vor allem erstmals, in einem Quantengas zwi-
auch sehr vielen Fragen der Festkörperphysik schen zwei fermionischen Elementen,
modellhaft untersuchen“, freut sich Rudolf Lithium-6 (blau) und Kalium-40 (rot),
Grimm, der das Quantengasgemisch nun mit eine starke Wechselwirkung kontrol-
seinem Team weiter untersuchen will. „Ein gro- liert herzustellen.
ßes Ziel ist es, Quantenkondensate herzustel- len, wie z.B. Bose-Einstein-Kondensate von aus Lithium- und Kaliumatomen gebildeten Mo-lekülen. Dies wird unsere Möglichkeiten, neuartige Materiezustände zu realisieren, noch er-heblich erweitern.“ Die Physiker berichten in der Fachzeitschrift Physical Review Letters über die neuen Ergeb-
nisse. Unterstützt wurden sie bei ihrer Arbeit vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF
durch den Spezialforschungsbereich FoQuS und von der European Science Foundation ESF
im Programm EuroQUAM, sowie mit dem Wittgenstein-Preis durch den FWF und das öster-
reichische Wissenschaftsministerium.
Publikation: Hydrodynamic Expansion of a Strongly Interacting Fermi-Fermi Mixture. A.
Trenkwalder, C. Kohstall, M. Zaccanti, D. Naik, A. I. Sidorov, F. Schreck, R. Grimm. Physical
Review Letters 106, 115304 (2011) DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.115304
http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.106.115304
Bilder und Videostatements zum Experiment unter:
http://www.uibk.ac.at/public-relations/presse/medienservice/images/pdf/20110318/index.html.de

Source: http://www.oepg.at/uploads/5977b7881916663729e9288c551bbfc7.pdf

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