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Wirken Pillen wirklich?Studien haben den Expertenstreit um die Wirksamkeit von Therapien gegen Depressionen neu angefacht. Kritiker glauben, dass Medikamente nicht mehr helfen als Behandlungen mit Placebos.
Auf den ersten Blick sieht es nach einer bestätige frühere Ergebnisse nicht, nach Sport statt Psychotherapie?
Psychiater tatsächlich so etwas wie eine leuten eine Kontroverse ausgelöst. Doch wie die Reaktion von Irving Kirsch zeigt. versity of Plymouth findet in seinen Stu- dien bei Antidepressiva seit Jahren eine delt wurde. Wissen sie es nicht, ist die Therapie, Pillen oder bloss mehr Sport? Experten streiten über die Wirksamkeit von Antidepressiva. Foto: Colourbox und unseren ist, dass sie es einen Erfolg Gleich eine ganze Welle von neuen handlungen.
Studien legt Vorsicht beim Einsatz in der Häufig verschrieben
Studie recht mässig. Ein Dilemma für schwerden und mangelnden Appetit Schwangerschaft nahe. Bei den werden- Fachleute wie Erich Seifritz von der Psy- den Müttern erhöhen Antidepressiva die chiatrischen Universitätsklinik Zürich xuelle Probleme. Und je genauer For- (siehe Interview). Er ist überzeugt, dass Bei den Babys wiederum wird häufiger sionen unternommen wird. Sie greifen «die realen Effekte grösser sind». Aller- Abwägen bei Schwangeren
burt. Andererseits ist eine unbehandelte wie die realistisch angelegte Star-D-Stu- Depression nicht nur für die Mutter seinem Buch «Die Heiler» entwickelt bungsstatistik anführen. Mit einem die zeigt. In diesem Grossversuch des wanesischer Universitäten um Chia- schlecht, sondern auch für das Baby. Es Marktanteil von fast 17 Prozent liegen amerikanischen National Institute of Ming Chang, wie sich Antidepressiva auf wächst im Mutterleib nicht so gut und gründlich untersucht wird, eine Erklä- nach der Geburt tun sich depressive rung für sein Leiden erhält, Hoffnung Jahr nur jeder Vierte seine Depression nis der gerade online vorab veröffent- Mütter oft schwer, auf die emotionalen schöpft und schliesslich ein therapeuti- lichten Studie mit Daten von über 36 000 Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen. sches Ritual mit einem anerkannten Ex- Autofahrern: Wer die Pillen schluckt, Für Seifritz ist die «medikamentöse The- ten Wirkstoffe quälen die Patienten fall. Um auszuschliessen, dass dafür die schiedenen Risiken für Mutter und turnadeln sticht, ist nicht wichtig, so- zwar weniger als ihre Vorgänger mit Depressionen selbst verantwortlich Kind». Seiner Meinung nach gehört die lange der Patient daran glaubt. Mit die- suchungen, weil etwa 30 Prozent der Mundtrockenheit, Verstopfung und sind, erfassten die Forscher die Besuche Depressiven auch mit einem Placebo Sehproblemen. Doch auch Fluoxetin bei Psychiatern und korrigierten ihre Er- lenden mit Depressionen in die Hand sionsbehandlung dürfte für weitere Dis- Antidepressiva in der Praxis«Die Realität in der klinischen Praxis ist eine andere als diejenige der Studien» ten an keinen relevanten zusätzlichen Der Placeboeffekt ist gross, das ist ganz gen veröffentlicht. Demnach kann ein chen oder gar abruptes Abbrechen der sagt, dass Antidepressiva bei Erkrankungen leiden. Ohne diese Ein- klar, und zwar in der gesamten Medizin, Arzt bei leichten Depressionen ruhig Behandlung sind grosse Risiken für nicht nur in der Psychiatrie. Allerdings rund zwei Wochen mit Medikamenten einen Rückfall. Dasselbe gilt, wenn die schwerem Krankheitsverlauf rungsbehörden die Resultate der Stu- steigt in den Studien die Medikamenten- zuwarten, während er den Patienten Depression nicht vollständig abgeheilt weiterhin unerlässlich seien. dien nicht. Doch in der täglichen Praxis wirkung im Vergleich zu Placebos, je unterstützend oder psychotherapeu- ist. Auf keinen Fall würde ich ein Antide- tisch begleitet. Falls es sich aber nicht pressivum absetzen, wenn ein Patient studien ist, dass sie nur Mittelwerte fekt gegenüber dem Medikament nach ei- – die Symptome also nicht abnehmen gelitten hat und ohne Medikamente berücksichtigen und so beispielsweise niger Zeit ab. Ohnehin ist eine Therapie oder sich gar verschlimmern – müssen Grosse Studien zeigen, dass
immer mehr als nur das Verschreiben unbedingt Antidepressiva eingesetzt Antidepressiva weniger wirksam
mente reagieren, unter Umständen gar eines Medikaments. Eine Psychothera- werden, oft vorübergehend zusammen Sie sagen, Antidepressiva seien
sind als bislang gedacht.
risikoarm. Nebenwirkungen haben
Ist es überhaupt sinnvoll, diese
sie aber dennoch . . .
Medikamente zu schlucken?
Ja. Nach wie vor gilt, dass Antidepressiva Metastudien haben nicht nur
Viele, die Antidepressiva nehmen,
über eine breite Palette von verschiede- bei Antidepressiva Mühe, eine
wollen sie absetzen. Ist das sinnvoll?
Wirksamkeit nachzuweisen. Auch
Es ist tatsächlich so, dass viele nach ers- Psychotherapien sollen kaum mehr
ter Besserung die Medikamente wieder filen. Tritt zum Beispiel im Rahmen der wirken als Sport oder Akupunktur.
absetzen wollen. Dies ist ein sehr kriti- scher Moment und führt leider allzu oft Erwähnte, das heisst, die Realität in der zu herben Rückfällen. Darum muss die mit Zuversicht auf ein anderes Präparat klinischen Praxis ist eine andere als die- Situation in jedem Fall individuell mit wechseln. In der Praxis zeigt es sich ausfallen, hat verschiedene Gründe.
jenige der Studien. Zudem werden in dem Arzt besprochen werden. Wie soll man dabei vorgehen?
mal sind Zusatzeffekte sogar erwünscht. Zum einen ist die Aussagekraft dieser Bei positiven Resultaten verlässt
Übersichtsstudien eingeschränkt, da sie man sich aber auch auf solche
Studien, schliesslich lässt sich
Wann ist es denn sinnvoll,
die Wirkung von Medikamenten
Antidepressiva zu verschreiben?
zen. Hierfür werden Patienten gemäss kaum anders untersuchen.
Wir haben für die Schweizerische Gesell- handlung mindestens ein halbes Jahr hen: Diese Überlegungen können mit sehr eingeschränkten Auswahlkriterien Zumindest in der eingeschränkten
kontrollierten Studien nicht erfasst wer- ausgewählt: Sie dürfen zum Beispiel Patientengruppe wirken die
und die Schweizerische Gesellschaft für tende Symptomfreiheit vorausgesetzt – den. Sie sind Teil der ärztlichen Kunst Antidepressiva demnach primär
Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) langsam über mehrere Monate ausge- als Placebo.

Source: http://www.kbk.ch/upload/pdf/2012.10.18_wirksamkeit_medikamente_depression.pdf